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„Ensel und Krete – Ein Märchen aus Zamonien“ von Hildegunst von Mythenmetz (oder doch Walter Moers?)

 

 

Wie der Titel schon erahnen lässt, ist dieses Buch mit der klassisch-grimmschen Erzählung von Hänsel und Gretel verwandt. In beiden Geschichten wird von zwei Geschwistern erzählt, die sich im Wald verlaufen und auf eine böse Hexe treffen. Bereits hier enden die Gemeinsamkeiten.

 

Es handelt sich bei diesem Werk nicht um eine schnöde, leicht abgeänderte Nacherzählung mit dem üblichen „Plot“, dies ist sehr erfrischend. Ensel und Krete sind keine Menschenkinder sondern Fernhachenzwerge, zudem spielt die Handlung in Zamonien, einer erfundenen Welt, sie ist magisch-schön und gleichsam skurril-gruselig. Diese Welt ist wunderbar genau beschrieben und so entstehen detaillierte Bilder bzw. Filmabschnitte im Kopf des Lesers. Auf dieser Art der Erde ist kaum etwas so, wie es unserem Standardverständnis entspricht, weder die Vorstellung von so manch magischen Wesen, noch das Verständnis von „echter“ Mathematik. Dies lässt natürlich viel Spielraum für den Autor Moers, bzw. wenn man Moers überhaupt als Autor betrachten will.

 

Der nächste besondere Punkt besteht nämlich darin, dass es einen fingierten Autor gibt. Sein Name ist Hildegunst von Mythenmetz, seines Zeichens Lindwurm (also ein Drache) und Schriftsteller. Dieser beschreibt zuallererst den genaueren Ort der Handlung, nämlich Bauming, eine Gemeinde in Zamonien, errichtet von den sogenannten Buntbären. Sie sind im Prinzip normale Bären in nur allen erdenklichen Farben (zur Veranschaulichung wurden eine Seite lang nur Farbtöne aufgezählt), die zudem intelligent sind. Solche Phänomene werden für den Leser ausführlich in den Fußnoten erklärt, und zwar mit Ausschnitten aus dem „Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomenen Zamoniens und Umgebung“, geschrieben von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller, dieser ist wie Mythenmetz, ebenfalls ein fiktiver Charakter. Zudem finden sich Anmerkungen von Moers selbst an einigen Stellen, dieser nimmt jedoch die Stellung eines Übersetzers ein. Die verwendete Sprache orientiert sich stark am deutschen „Normal-Sprech“ und macht das Buch somit leicht verständlich.

 

Noch bevor man als Leser die beiden Protagonisten Ensel und Krete kennen lernt, macht man Bekanntschaft mit einer weiteren Besonderheit dieses Buches, den sog. mythenmetzschen Abschweifungen, sie sind fett gedruckt und liefern dem fiktiven Autor den Raum, um abzuschweifen, so erzählt er zum Beispiel von der Einrichtung seines Arbeitszimmers, Erfahrungen aus seiner Jugend, oder zieht über seinen Erzfeind, den Literaturkritiker Laptantidel Latuda, her. Hier wendet sich Mythenmetz bzw. Moers selbst an den Leser, beleidigt diesen sogar an einer Stelle. Dieses unkonventionelle Vorgehen verleiht der Geschichte einen gewissen Charme. Jedoch muss gesagt werden, dass diese Abschweifungen wirklich zäh werden, sobald die Ensel und Krete Handlung in Gang gekommen ist, man will das Buch teilweise einfach nur mit Karacho an die Wand werfen, wenn man umblättert und wieder auf einen fettgedruckten und langen Text starrt. (Ich muss zugeben, dass mir das einmal passiert ist, einfach so, im Affekt… Entschuldigung Herr Mythenmetz, es wird nie wieder vorkommen.)

 

Die Handlung ist aber oft auch mal fast langweilig, weil die Spannung so oft unterbrochen und aufgehoben wird. Sie wird aber durch Hindernisse, wie Halluzinationen und lügende Trolle aufgefrischt. Trotz alldem, merkt man, dass das Wichtige an diesem Buch ist nicht die Geschichte, sondern der Aufbau um diese herum, das Demonstrieren der schieren literarischen Möglichkeiten, Revolutionen und des Könnens des Autors, ist. Als Fazit ist zu sagen, dass es mehr um Mythenmetz und seinen Schriftstil geht, nicht um die zwei Geschwister. Dies ist allerdings nicht weiter störend, da es sich trotzdem um ein unterhaltsames Stück „experimentelle“ Literatur handelt.

 

von Lukas Meyer

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