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Der Todesengel des finsteren Tals

 

 

Die Luft flirrt vor Spannung. Es ist still, einsam. Nur zwei finstere, erbarmungslose Revolvermänner stehen sich im Duell gegenüber. Schnitt. In einem kleinen, idyllischen Bergdorf feiern die Dorfbewohner fröhlich die Einfuhr der diesjährigen Ernte. Schnitt. Diese beiden Szenen stammen aus zwei verschiedenen Welten, sie könnten unterschiedlicher nicht sein. "Das finstere Tal" bedient sich jedoch beider Welten, es kombiniert das unmögliche, Western und Heimatroman.

 

Ein namenloser Fremder trifft in einem Dorf ein, das  abgelegen in einem  Hochtal der Alpen liegt. Er stellt  sich als Künstler vor, der ein Quartier für seine Malstudien in der Abgeschiedenheit sucht. Die misstrauischen Dorfbewohner, die eine scheinbar verschworene Dorfgemeinschaft bilden, nehmen ihn nur nach langem Zögern auf. Genauer gesagt, teilt ihm der älteste von sechs Brüdern, die Söhne des Brenner Bauern, der der Herrscher über dieses Tal ist,  ein Quartier bei der Witwe Gader und ihrer Tochter Luzi zu.  Einen derartigen Handlungsverlauf kennt man aus unzähligen Geschichten. Das faszinierende ist die Hauptperson, die sich selbst als Greider vorstellt. Zwischen dem Bild, das Greider den Dorfbewohnern vermittelt und dem Bild Greiders, das der Autor immer wieder kurz aufleuchten lässt, gibt es mehr Reibungspunkte als ein Zufall erlauben würde. Das ist der rote Faden des Buches; diese  Unstimmigkeiten der Persönlichkeit des Hauptcharakters wecken die Neugier des Lesers, denn man spürt die täuschende Oberfläche. Geduld muss er bei der Lektüre auf jeden Fall haben, Thomas Willmann lässt  Greider nämlich sehr lange das Dorf und seine Bewohner bei seinen Malstudien erkunden. Dabei beobachtet dieser das dörfliche und soziale Leben mit dem scharfen Blick eines Malers, hält sich aber in seinen Handlungen sehr zurück. Diese Passage des Buches lebt im Wesentlichen von Willmanns kräftiger, bildreicher und detaillierter  Sprache. Auch hier steht weiter die Frage nach Greiders Identität und Ziel im Raum, denn die Schärfe und Genauigkeit der Beobachtungen des Autors bzw. Greiders wollen nicht so recht zu einem braven Künstler passen. Das anfängliche Misstrauen Greider gegenüber schwindet langsam, dieser bietet den Dorfbewohnern bewusst keinerlei Angriffsfläche in seiner Harmlosigkeit und schließlich haben die Bewohner genug Sorgen mit ihrem schweren Alltag und ihrer gelebten Freudlosigkeit. Doch der Leser wird argwöhnisch, der Frieden ist zu trügerisch, denn der Autor kommentiert Greiders Handeln vorsichtig deutend, jedoch nie bindend und es steht viel Unausgesprochenes im Raum. Überhaupt wird nur sehr wenig gesprochen, dafür gibt es umso mehr Andeutungen. Nun beschleunigt sich die Handlung dramatisch. Zwei der Brenner Söhne sterben auf mysteriöse Art und Weise und Luzi, die Tochter der Gaderin bereitet sich auf ihre Hochzeit mit Lukas, einem Bauernsohn, vor. Doch selbst auf der Hochzeit liegt in diesem harten, freudlosen Tal eine schwere Last. An dieser Stelle ballt sich die ganze düstere Atmosphäre der Handlung und entlädt sich sogleich in der Person Greiders. Denn an dieser Stelle erfährt man endlich, endlich die Vorgeschichte Greiders, die ihn zu der Einkehr in das finstere Hochtal bewegte. Und so seltsam  es klingt, als Leser erscheint es einem nur konsequent und gerecht, als Greider seine Beobachtungshaltung aufgibt und kalt, brutal aber berechnet handelt. Thomas Willmann hat in diesem Buch eine Atmosphäre der Beengung , Düsternis und wichtigem Unausgesprochenem  geschaffen, die einen nur schwer aus der Lektüre auftauchen lässt. Sehr langsam startend, wie das Lauern eines wilden Tieres, beschleunigt die Handlung immer schneller und nimmt ihren blutigen Lauf. Das Motiv ist nicht außergewöhnlich, trotzdem konstruierte Willmann daraus eine außergewöhnliche Geschichte, die vor allem darin besticht, das der Leser erst gegen Ende erfährt, was ihm die ganze Zeit über hätte klar sein können.  Das Ende der Lektüre lässt einen nach der Enge und Bedrücktheit des finsteren Tals noch lange nicht los. Doch um an diesen Punkt zu gelangen, muss man zuerst Eintauchen in die Welt des finsteren Tals. Es sei jedem empfohlen.

 

von Sebastian Quander

 

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