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Das Leben Unter & Überwasser

Nach einer demütigenden Prüfung zum Abschluss seines Jurastudiums hat Sven Fiedler Deutschland den Rücken gekehrt, ist ausgestiegen. Fortan betrachtet er sein Geburtsland als ein Kriegsgebiet der Beurteilungen und seine neue Lebensdevise heißt: „Nur nicht einmischen“. Auf einer spanischen Insel, die an Lanzarote erinnert, betreibt er mit Antje Ferienquartiere und eine Tauchschule. Antje ist einfach mitgekommen. Sie hat als Mädchen Svens Hund Gassi geführt und sich in ihn verguckt, seitdem weicht sie nicht mehr von seiner Seite. Für Sven, der ohnehin nicht an die große Liebe glaubt, ist das praktisch. Antje managt die Ferienwohnungen, erledigt die Buchführung, kocht und putzt und hat manchmal Sex mit ihm. Svens zentraler Lebensinhalt ist der Tauchsport und den bringt er zahlenden Feriengästen bei.

 

Zwei Wochen, 14.000 Euro. Das ist der Preis, den die beiden neuen Feriengäste an Sven für die exklusive Rundumbetreuung zahlen. Sven soll ihnen das Tauchen beibringen und auch als Unterhalter und Begleiter dienen. Dass der Preis, den Sven dafür nehmen müsste, tagtäglich mit den Irren unter Wasser zu gehen, viel höher sein müsste, versteht er zu spät.

 

Das Unglück kommt in Form von Jola und Theo angereist. Jola ist Schauspielerin ohne Durchbruch, Theo ist Schriftsteller mit Schreibblockade und beide haben nicht nur deshalb einen an der Waffel. Sie nennt ihn nur den alten Mann, er sagt Sätze wie: "Sie ist ohnehin zu alt für die Rolle. Wenn sie auch noch fett wird, hat sie überhaupt keine Chance." Manchmal steckt Theo Jola einfach sein Genital in den Mund und würgt sie ein wenig. Kurzum: Jola und Theo sind seltsam und sadomasochistisch.

 

Sven, der sich immer für einen Mann mit geringer Liebeskraft gehalten hat und eigentlich versucht, sich immer aus allem rauszuhalten, fühlt sich plötzlich angezogen von Jola. Er googelt sie, er begafft sie, er greift ihr unter Wasser an die Brüste und vielleicht vögelt er sie auch, aber das weiß man nicht, denn irgendwann gibt es zwei Versionen der Wahrheit. Svens Schilderungen der Ereignisse widersprechen den Tagebucheinträgen von Jola, die Juli Zeh immer wieder zwischen die Hauptgeschichte einstreut. Wer die Wahrheit sagt und wer lügt, wird immer undurchsichtiger.

Dadurch entsteht eine reizvolle Irritation. Klare Wirklichkeiten überlagern sich zu einem verwischten, unscharfen Bild. Klar ist da nur noch, dass es sich um hochgradig inszenierte Wirklichkeiten handelt. Der Plot aber, in dem Juli Zeh diese Spiel aus Lug und Trug einbettet, indem sie ein groß angelegtes Mordszenario entwirft, ist derart hanebüchen, dass dem Buch vom Ende her jegliche Glaubwürdigkeit entzogen wird und es in sich zusammensackt wie eine Luftmatratze, aus der man den Stöpsel zieht.

 

 Fest steht nur, dass Svens Lebensmotto "Immer raushalten!" mittlerweile untragbar geworden ist, das wird deutlich als Theo, Jola und Sven auf ihre letzte gemeinsame Expedition gehen.

Der Roman „Nullzeit“ von Juli Zeh ist ein kontrovers diskutiertes Werk. Als Thriller wird er bezeichnet, obwohl die Autorin eigentlich kein Genre bedient. Die Bezeichnung passt, denn „Nullzeit“ ist ein spannendes, verstörendes Buch, ein Beziehungsroman, in dem es richtig zur Sache geht.  Damit ist nicht in erster Linie, aber auch Sex gemeint, als eine von vielen Methoden, mit denen sich die Protagonisten gegenseitig  verletzen.

 

von Florent Selmani

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